Kultur und Kommunikation Gehörloser

Professor Dr. Horst Pagel wurde vergangenen Mittwoch mit dem ersten Lehrpreis der Universität zu Lübeck ausgezeichnet — für eine besondere Pionierleistung im Wahlfach „Kultur und Kommunikation Gehörloser“.

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Auszeichnung für exzellente Lehre: Prof. Hendrik Lehnert, Dr. Tobias Schmohl, Prof. Horst Pagel, Priv.-Doz. Amir Madany Mamlouk, Prof. Rolf Hilgenfeld, Dr. Bettina Jansen-Schulz (v.l.n.r.) Foto: © PFN – Olaf Malzahn

Der Festakt fand in der Universitätskirche St. Petri zu Lübeck statt und war mit der Veranstaltung „Uni im Dialog“ verknüpft. Ich durfte in diesem tollen, sehr festlichen Rahmen als Vorsitzender der Auswahlkommission die Laudatio halten. Dafür hatten wir uns als Jury etwas Besonderes einfallen lassen:

Für den Vortrag war extra ein Gebärdendolmetscher eingeladen, der für meine Laudatio mit auf die Bühne kam und meinen Redetext in Gebärdensprache übersetzt hat. Für mich war es überhaupt das erste Mal, dass ich eine Festansprache mit Simultanübersetzung gehalten habe. 🙂

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Laudatio mit Gebärdendolmetscher. Foto: © PFN – Olaf Malzahn

Aber zum Preisträger: Ich hatte schon gesagt, dass er für eine Pionierleistung ausgezeichnet wurde. Was heißt das? — Als Prof. Pagel das Thema „Gehörlosigkeit/Gebärdensprache“ kurz nach der Jahrtausendwende das erste Mal im Rahmen der physiologischen Hauptvorlesung in Lübeck zum Gegenstand machte, gab es in der humanmedizinischen Ausbildung deutschlandweit kein eigenes Lehrangebot zu dieser Thematik. Wo es im Lehrplan vorkam, wurden Gehörlose allenfalls unter dem Aspekt ihrer medizinisch-physiologischen Beeinträchtigungen behandelt.

Dass angesichts von Hörbehinderungen noch viele weitere,
auch soziale, kommunikative und kulturelle Faktoren für die Betroffenen eine große Rolle spielen, wurde im Humanmedizinstudium (wenn überhaupt) nur am Rande und eher „abstrakt“ vermittelt. Gehörlosigkeit kam als Thema in den ärztlichen Curricula weder in der Hals-Nasen-Ohrenkunde noch in der Pädiatrie und auch nicht in der Pädaudiologie vor. Das ist schon frappierend, wenn man bedenkt, dass in Deutschland nach wie vor täglich 1 bis 2 gehörlose Kinder geboren werden. Behandelt wurde nur am Rande das Cochlea-Implantat, um technisch das Gehör zu verbessern. Alternativen zu dieser Prothese, und besonders die Sichtweise der Betroffenen, waren in der Medizinerausbildung kaum ein Thema.

Als nach der Approbationsordnung 2002 Wahlfächer eingeführt wurden, konnte Prof. Pagel sein Konzept das erste Mal als eigenständiges Wahlfach anbieten. Bei der Konzeption erhielt er u.a. Unterstützung vom Begründer des Instituts für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg: Prof. Siegmund Prillwitz; außerdem ist eine Gastdozentin für Gebärdensprache fest ins Kurskonzept integriert, die aus ihrer Erfahrung berichtet.

Prof. Pagel hat das Konzept über mehrere Semester hinweg mehrfach überarbeitet und optimiert. Entstanden ist ein deutschlandweit einmaliges Lehrangebot: Die Studierenden werden im Rahmen des Kurses nicht nur mit der Gebärdensprache und der Lautsprache vertraut gemacht, sondern sie erfahren im direkten Kontakt mit Gehörlosen und deren Familienangehörigen, wie diese mit ihrer Behinderung umgehen, was sie medizinisch, psychologisch und gesellschaftlich brauchen. Daneben werden physiologische, historische und kulturelle Aspekte der Gehörlosigkeit aufgegriffen.

Lehrpreisträger Prof. Dr. Horst Pagel, Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. Hendrik Lehnert
Lehrpreisträger Prof. Dr. Horst Pagel, Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. Hendrik Lehnert Foto: © PFN – Olaf Malzahn

Es ist dieser ganzheitliche Ansatz, der uns als Jury überzeugt hat und der sich auch in der Lehr-Evaluation der Veranstaltung mit einer herausragenden Bewertung ausdrückt. Herrn Pagels Veranstaltung steht im Gesamtblick nicht nur beispielhaft für das diesjährige Leitthema, unter dem der Universitätslehrpreis ausgeschrieben wurde – das ist: „Vielfalt“. Sie steht auch in besonderer Weise für das Motto, das die Universität für sich als Leitspruch ausgerufen hat: Im Focus das Leben!

Die Universität zu Lübeck hat in diesem Jahr ihren ersten,
hochschulweit vergebenen Lehrpreis mit 3.000 Euro dotiert. Ich freue mich sehr, dass wir damit ein so schönes Projekt auszeichnen konnten.

Weitere Infos finden sich hier.

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